Europa

Asymmetrie beenden und Europa eine Chance geben – Soziales Europa gestalten

Der Landesparteitag hat beschlossen:

Eine gemeinsame europäische Sozialpolitik war bei der Gründung der Europäischen Union (EU) nicht vorgesehen. Die Römischen Verträge von 1957 zielten auf die Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und verfolgten damit rein wirtschaftliche Interessen. Im Dezember 1989 verabschiedeten die Regierungschefs der EG die Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer*innen als „feierliche Erklärung“, die im Laufe der Verhandlungen soweit verwässert wurde, dass am Ende nur der „Anspruch auf ausreichende Leistungen und Zuwendungen, die nach persönlicher Lage angemessen sind“ übrig blieb.

Dennoch wurden im Verlauf der letzten Jahrzehnte immer wieder zögerliche Versuche unternommen eine verstärkte Koordinierung der verschiedenen Sozialpolitiken zu erreichen.

Jedoch erzeugen diese Koordinierungsprozesse durch Vergleiche „bester Praktiken“ einen subtilen, aber stetigen Druck auf die Mitgliedstaaten. Mittlerweile ist das Europäische Sozialmodell durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus in weiten Teilen stillgestellt und verdrängt worden, d.h. durch seine harten sozialpolitischen Austeritätsauflagen, denen sich die von ihm „geretteten“ Krisenländer zu unterwerfen haben. Weil ein sozialpolitisches Leistungssystem zur Sicherung aller EU-Bürger auf EU-Ebene nicht besteht, fallen in den am stärksten betroffenen Krisenländern ganze Regionen und Generationen aus der im „Europäischen Sozialmodell“ vorgesehenen „Inklusion“ heraus.

Die wirtschaftspolitische Steuerung in der EU basiert auf dem Europäischen Semester, in dem der Europäischen Kommission eine Schlüsselrolle in der Entwicklung und der Koordinierung der Politik zukommt. Die Kommission legt Jahreswachstumsberichte vor und gibt länderspezifische Empfehlungen und Empfehlungen im Rahmen der Durchsetzungsverfahren (Defizitverfahren und Verfahren bei makroökonomischen Ungleichgewichten), die von umfangreichen Recherchen des Kommissionspersonals unterlegt werden. Wenn die Kommission dabei zur Einbindung sozialer Rechte verpflichtet wäre, könnten viele der fatalen Entwicklungen, die bis jetzt in Bereichen wie dem Arbeitsmarkt beobachtet werden konnten, vermieden werden. Eine solche Verpflichtung würde in der Vorbereitung des Europäischen Semesters eine Analyse von Rechten bedeuten, die es der Kommission ermöglicht, Maßnahmen, die diese Rechte verletzen könnten, zu identifizieren.

Die hohe Arbeitslosigkeit von jungen Menschen ist eines der schwerwiegendsten Probleme der EU, das ganz klar das Versagen der europäischen Eliten, die Zukunft der Union zu sichern, offenbart. Während die Jugendarbeitslosigkeit in der ganzen EU gestiegen ist, ist sie am schwerwiegendsten in jenen Staaten, die den Bedingungen der Troika unterworfen wurden. Der rapide Anstieg der
NEETIndikatoren (not in Education, Employment or Training) verdeutlicht, dass es neben den Arbeitslosen Millionen von jungen Menschen ohne Beschäftigung gibt, die kaum oder keine Beziehungen zur Arbeitswelt haben und dass dieses Problem noch dringender in der Gruppe der 25-34-Jährigen als der der 16-24- Jährigen ist. Die Einführung der Jugendgarantie während der letzten EU-Kommission war ein zu begrüßender, wenngleich sehr seltener Impuls der EU auf dem Gebiet der Sozialpolitik, dessen finanzielle Ausstattung allerdings vollkommen unzureichend für die am stärksten betroffenen Länder ist. Die Prioritäten sowohl in Bezug auf die Jugendarbeitslosigkeit als auch in der europäischen Sozialpolitik insgesamt müssen dringend neu gesetzt und in sozialen Rechten verankert werden:
Wettbewerbs- und Haushaltsregeln müssen an sozialen Zielen ausgerichtet sein, nicht andersherum (Euromemorandum 2016, S. 3).

Die in einer gemeinsamen, rechtlich unverbindlichen Proklamation des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission auf dem EU-Sozialgipfel am 17. November 2017 in Göteborg verabschiedete Europäische Säule Sozialer Rechte (ESSR) ist ein allgemein gehaltenes, unverbindliches Dokument , welches die Bedrohungen des europäischen Sozialmodells durch Wettbewerbsrecht, europäische Schuldenbremse, Troika und Defizit-Verfahren, die entweder gerichtlich oder mit Sanktionen durchgesetzt werden können, nicht aufhalten wird.

Mit der neuen Regierung in Deutschland wird auch im Jahr 2018 nicht der Kern des Problems angegangen. Die reine Fokussierung auf die wirtschaftliche Integration mit weitreichenden Kompetenzen auf der europäischen Ebene steht im krassen Gegensatz zu kaum vorhandener Kompetenz im Bereich der Sozialpolitik. Diese Asymmetrie muss behoben werden. Wir Grüne wollen eine EU die nicht einseitig Staaten nach ökonomischen Kriterien bewertet, sondern Armut in allen Mitgliedsstaaten aktiv bekämpft. Wir wollen die ausgestreckte Hand von Frankreichs Präsident Macron (Sorbonne Rede) annehmen und seine Vorschläge zur sozialen Konvergenz positiv aufgreifen und konkrete Schritte zu einem sozialen Europa gehen, was eine Annäherung der Sozialmodelle mit sich bringen würde.

Wir Grüne wollen allen Menschen in der europäischen Union soziale Absicherung gewährleisten. Die Europäische Union soll Ort der sozialen Sicherheit werden und so ihre Existenz neu begründen. Soziale Sicherheit ist moderne Friedenspolitik und die EU ist das größte Friedensprojekt der Welt. Ohne soziale Sicherheit wird dieses Projekt von Innen heraus in seiner Existenz bedroht. Es darf keine
Entwicklung dahin geben, dass europäische Staaten sich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner berufen und somit eine Verschlechterung der Sozialstandards durch die Hintertür ermöglichen.

Die Kritik der EU Gegner*innen gegen die Idee eines sozialen Europas weisen wir zurück. Es geht in erster Linie nicht um die Angleichung unserer sozialen Sicherungssysteme, sondern darum, dass sich Lebensverhältnisse europaweit annähern und keine Europäer*in in Armut leben muss. Eine Angleichung auf dem niedrigsten Sozialniveau lehnen wir ab, in einem ersten Schritt sprechen wir uns für garantierte soziale Mindestrechte aus, die durch alle EU Mitgliedsstaaten eingehalten und durch die EU unterstützt umgesetzt werden müssen.

Wir wollen Grenzpendler*innen, die in einem EU Land leben und in einem anderen arbeiten lückenlos mit Arbeitnehmer*innen die in einem Land arbeiten und leben gleichstellen. Die EU sollte Versicherungslücken durch Richtlinien schließen und durch einen Sozialfonds Versicherungslücken schließen.

Wir fordern einen Aktionsplan zur Bekämpfung von Armut in der europäischen Union und die Unterstützung von öffentlicher Daseinsvorsorge in ökonomisch schwächeren Mitgliedsstaaten. Eine einseitige Fokussierung auf ökonomische Kennzahlen bei der Bewertung von Mitgliedsstaaten, wie bspw. bei Griechenland oder Spanien lehnen wir ab.

Neben den Direktzahlungen aus den Haushalten der EU Mitgliedsstaaten für den EU Haushalt, schlagen wir zur Finanzierung einer starken sozialen Säule vor, dass die EU die Kompetenz zur Erhebung Steuern und Abgaben bekommt, um beispielsweise eine europäische Vermögensabgabe zu erheben.

Wir wollen die Mobilität von Arbeitnehmer*innen innerhalb der EU ausbauen und faire Beschäftigungsverhältnisse für alle erreichen. Wir begrüßen die Reform der Entsenderichtlinie, die ein Durchbruch für soziale Rechte für entsandte Arbeitnehmer*innen markiert. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit wird endlich Realität. Wir fordern, dass diese Richtlinie auch auf weitere Branchen wie das Transportgewerbe erweitert wird und weitere Lücken bei der Versicherungspflicht geschlossen werden.

Wir fordern die EU auf, Programme zur sozialen Arbeitsmarktpolitik wie durch den ESF beizubehalten. Wir setzen uns dafür ein, dass in Schleswig-Holstein soziale und Arbeitsmarktinstitutionen wie Frau und Beruf oder die Beratungsstellen für Arbeitnehmer*innen aus anderen Staaten weiter unterstützt und ausgebaut wird. Gute Beratungsstrukturen sind für einen grenzüberschreitenden und sozialen
Arbeitsmarkt wichtig.

Wir wollen soziale Innovationen ermöglichen und fordern durch die EU finanzierte wissenschaftlich begleitete Modellprojekte zum bedingungslosen Grundeinkommen.

Ein sinnvoller Start, um die Entwicklung in der EU zu fördern, wäre ein EU weites Sozialversicherungssystem, welches die soziale Sicherheit und die Mobilität der Arbeitskräfte verbessert und gleichzeitig ein automatischer Stabilisator wäre. Ein erster Schritt in diese Richtung, der bereits diskutiert wird, könnte die Entwicklung einer Arbeitslosenversicherung auf der Ebene der EU
sein. Eine grundlegende europäische Arbeitslosenversicherung würde einen begrenzten und planbaren kurzfristigen fiskalischen Impuls in konjunkturellen Abschwungphasen geben. Mit ihrer automatischen und antizyklischen Wirkung kann eine europaweite Arbeitslosenversicherung zugleich das Marktvertrauen in die Währungsunion stärken und dadurch dazu beitragen, den sich wiederholenden Teufelskreis aus Konjunkturabschwung, Austerität und innerer Abwertung in der Eurozone zu vermeiden. Sie würde helfen, die Binnennachfrage und damit das Wirtschaftswachstum in ganz Europa zu stärken, so der frühere EU Kommission für Beschäftigung und Soziales und Integration Lazlo Andor (Euromemo 2016, S. 14)

Die Armutsbekämpfung ist ein erklärtes Ziel der EU, das in der 2020 Strategie festgeschrieben ist. Eine europäische Grundsicherung ist ein konkretes Instrument, um dieses Ziel umzusetzen. Denn viele EU-Staaten haben keine ausreichende Mindestsicherung auf nationaler Ebene. Eine europäische definierte Grundsicherung würde zu einer weiteren Angleichung der Lebensverhältnisse beitragen und die ökonomische Stabilität in der EU erhöhen. Wir fordern europäische definierte Mindeststandards für die Grundsicherung in Form einer Mindesteinkommensrichtlinie soll festschreiben, dass allen Menschen in EU-Mitgliedstaaten ein Existenzminimum in angemessener Höhe zusteht, das sich an 60% des durchschnittlichen Einkommens des jeweiligen Landes orientiert. Außerdem sollte die Richtlinie gemeinsame Prinzipien und Mindeststandards und eine gemeinsame Definition von Armut festlegen. Die europäischen Strukturfonds können die Grundsicherung dadurch flankieren, dass sie 20 Prozent ihrer Mittel in Armutsbekämpfung und soziale Inklusion legen. (BAG Europa Positionspapier September 2016, S. 6)

Als Grüne aus Schleswig-Holstein sind wir davon überzeugt, dass eine soziale Integration auf Augenhöhe mit der wirtschaftlichen Integration der EU dazu beitragen wird, dass das Spannungsverhältnis zwischen marktpolitischen und sozialpolitischen Fragestellungen neu austariert werden kann. Um die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich zu schließen und einen Unterbietungswettbewerb bei Löhnen, Steuern und Standards durch die Mitgliedstaaten zu vermeiden, wollen wir die EU in ihrer sozialen Dimension weiterentwickeln und langfristig eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Sozialmodelle in der EU erreichen.

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