Der Landesverband von B´90/Die Grünen Schleswig-Holstein stellt fest, dass eine
Krankenhausstrukturreform längst überfällig ist. Das aktuelle
Finanzierungssystem setzt falsche Anreize und die Strukturen, sowie personelle
Ressourcen werden nicht optimal eingesetzt. So entsteht ein Gemisch aus
Überversorgung an der einen und Unterversorgung an der anderen Stelle.
Diese Fehlentwicklungen sind bereits seit mehreren Jahren bekannt, leider hat es
bisher an politischen Mehrheiten gefehlt, um diese Missstände zu beseitigen. Die
aktuellen Insolvenzverfahren und die Tatsache, dass nur noch die aller wenigsten
Krankenhäuser in Deutschland schwarze Zahlen schreiben, geht auch auf genau
diesen Reformunwillen der letzten Jahre zurück.
Aktuell müssen Krankenhäuser Versorgungsaufträge zurückgeben, Stationen
schließen oder Standorte ganz aufgeben, weil das starre Finanzierungssystem
nicht länger an die IST-Situation angepasst ist. Wir erleben deshalb seit
mehreren Monaten und Jahren ein ungeordnetes Krankenhaussterben, das die
Gesundheitsversorgung enorm beeinträchtigt und für das Personal neben der
ohnehin schon chronischen Überlastung eine weitere Herausforderung darstellt.
Dies dürfen wir uns auch angesichts des demographischen Wandels nicht länger
erlauben. Deshalb ist es jetzt an der Zeit, mit der Krankenhausstrukturreform
ein massives Umdenken in der Gesundheitspolitik einzuleiten, um die
Gesundheitsversorgung in Deutschland und Schleswig-Holstein zukunftsfähig zu
machen.
Umsetzung auf Landesebene in Schleswig-Holstein
Der Gesetzgebungsprozess der Krankenhausstrukturreform und die daraus
resultierenden Folgen für die Landesebene sind schon jetzt und werden in Zukunft
deutlich spürbar sein. Eine enge Zusammenarbeit zwischen Landes- und kommunaler
Ebene bei den nächsten Schritten ist deshalb unbedingt notwendig.
Der Landesverband von B´90/Die Grünen Schleswig-Holstein fordert deshalb, dass
- das Land Schleswig-Holstein weiterhin im Ländervergleich vorangeht und die
Strukturreform der Bundesebene im eigenen Land so schnell wie möglich
umsetzen möchte. Um für die Krankenhausstandorte, das Personal und nicht
zuletzt die Bevölkerung Planungssicherheit zu schaffen, soll so schnell
wie möglich auf Basis des neuen Vergütungssystems der neue
Krankenhausplan für Schleswig-Holstein aufgestellt werden. Basis dessen
sollen die Ergebnisse der von der Landesregierung in Auftrag gegebenen
Versorgungsbedarfsanalyse, sowie die Leistungsgruppen und das
Vergütungssystem sein, das die Strukturreform neu einführen wird. Dabei
sollen sämtliche Akteur*innen des Gesundheitssystems mit einbezogen
werden.
- sich das Land an dem angekündigten Transformationsfonds von 50 Mrd. Euro
zwischen Bund und Ländern beteiligt, um die enormen finanziellen
Herausforderungen durch die Strukturreform
stemmen zu können. Dazu soll auch geprüft werden, wie die
Investitionskostenfinanzierung des Landes möglicherweise auch
kreditfinanziert so aufgestellt werden kann, dass sie die notwendigen
Zukunftsinvestitionen im Gesundheitsbereich erfüllen kann. Dazu gehört
auch die gezielte Anwerbung von Finanzmitteln aus der EU für die
klimaneutrale Transformation der Baustruktur und des Krankenhausbetriebs.
- die sehr komplexen Zusammenhänge der Strukturreform für kommunale und
politische Entscheidungsträger*innen, sowie das Personal im
Gesundheitswesen auf verständliche Art und Weise aufbereitet werden. Auch
die Bevölkerung muss in diesem für die Daseinsvorsorge so entscheidenden
Prozess besonders mitgenommen werden – Populismus und Halbwahrheiten
seitens der Politik verbieten sich auch aufgrund der hohen Emotionalität
vollkommen.
- sich die Landesregierung weiterhin kritisch und konstruktiv an dem
Gesetzgebungsprozess und der Durchführung der Krankenhausstrukturreform
beteiligt. Eine weitere Verzögerung oder gar ein Scheitern der Reform darf
dabei keine Option sein.
Gesetzgebungsprozess auf Bundesebene
Der Landesverband fordert die Bundestagsfraktion und die Bundesregierung deshalb
dazu auf,
- eine Vorhaltefinanzierung – wie im Koalitionsvertrag vereinbart – zu
etablieren und dadurch eine Abkehr der leistungsorientierten
Fallpauschalen herbeizuführen. Insbesondere in ländlichen Regionen müssen
so bestimmte grundversorgende Leistungen auch fallzahlunabhängig
finanziert und erhalten bleiben.
- ein System zu etablieren, dass finanzielle Fehlanreize in der
Vergütungsstruktur identifiziert und transparent macht. Aktuell werden in
bestimmten Teilbereichen häufig nicht medizinisch indizierte Eingriffe
durchgeführt, weil diese besonders gut vergütet werden.
Solche Entwicklungen gilt es auch im kommenden Vergütungssystem frühzeitig
zu erkennen, um das Wohlergehen der Patient*innen und die Qualität der
Versorgung in den Mittelpunkt zu stellen.
- im neuen Vergütungssystem einen Schwerpunkt auf eine nachhaltigere
Therapie zu legen. So ist bspw. seit Längerem bekannt, dass
sich der Einsatz von Diätassistent*innen oder Stationsapotheker*innen,
sowie abgestimmte Medikation- und Ernährungspläne ausschließlich positiv
auf die Dauer der Therapie und damit den Verbleib in stationären
Strukturen auswirkt. Dazu gehört auch, dass das Budget pro Patient*in für
die Verpflegung im Krankenhaus deutlich angehoben werden muss – denn je
besser die Verpflegung, desto höher der Therapieerfolg. Selbiges gilt für
die Qualität des Entlassmanagements in ambulante oder häusliche
Strukturen, etc.
- sich weiterhin deutlich für ein Vorschaltgesetz und eine finanzielle
Stütze für die Krankenhäuser einzusetzen, um das weitere, ungeordnete
Krankenhaussterben zu verhindern. Sehenden Auges den Status Quo zu
akzeptieren konterkariert nämlich schlichtweg den eigentlichen Sinn der
Strukturreform als solcher, die ja richtigerweise eine geordnete
Neustrukturierung unserer Krankenhauslandschaft vorsieht.
Sektorengrenzen (Stationär/Ambulant) überwinden und aufeinander anpassen
Die große Reform des stationären Sektors darf allerdings nicht verkennen, dass
diese auch enorme Auswirkungen auf den ambulanten Sektor haben wird.
Der Landesverband stellt daher fest, dass eine Ausweitung und Vergrößerung des
stationären Sektors kein Ziel der Krankenhausstrukturreform sein darf.
Stattdessen müssen Ambulantisierungs- und Digitalisierungspotentiale voll
ausgeschöpft werden. Gerade dort, wo Krankenhausstandorte wegfallen, muss eine
Stärkung des ambulanten Sektors erfolgen. Solche Strukturen sind am besten
regional gesteuert und beinhalten ganzheitliche Konzepte über den
Gesundheitsbereich hinaus.
Der Landesverband von B´90/Die Grünen setzt sich deshalb dafür ein, dass
- durch den Wegfall stationärer Angebote noch größere Löcher in den
Versorgungsstrukturen durch alternative ambulante und innovative Konzepte
verhindert werden müssen. Dies können Level 1i-Standorte oder andere
Versorgungsmodelle, telemedizinisch
abgedeckte Regionen oder verbesserte Kooperationen großer Klinikstandorte
mit kleineren Strukturen im ambulanten Bereich sein.
- das Konzept der Gesundheitsregionen für Schleswig-Holstein etabliert
wird. Perspektivisch entstehen so über Regionalbudgets perfekt aufeinander
abgestimmte Versorgungsangebote, die Prävention in den Mittelpunkt stellen
und lokal verwaltet werden und so am
besten auf den genauen Bedarf vor Ort angepasst sind.
- es Pflege- und Gesundheitsfachberufen durch bestimmte
Befugniserweiterungen ermöglicht wird, die Patient*innenversorgung in
Teilen autonomer und unabhängiger von ärztlichen Verordnungen gestalten zu
können. Das Pflegekompetenzgesetz auf Bundesebene geht dabei genau in die
richtige Richtung. Hierzu gehört auch die Öffnung des Direktzugangs für
Patient*innen zu den verschiedenen Therapieberufen. So werden personelle
Ressourcen effizienter eingesetzt und die unterschiedlichen Berufsgruppen
des Gesundheitssystems für mehr Menschen attraktiver.
- durch ein intelligenteres Patient*innenmanagement und eine notwendige
Reform der Notfallversorgung und des Rettungsdienstes wirklich nur
diejenigen Patient*innen stationär behandelt werden, die es wirklich
brauchen. Neben vielen anderen Gründen sind die überfüllten Notaufnahmen
im ganzen Land auch dadurch begründet, dass zu viele Menschen
fälschlicherweise und ohne echten medizinischen Notfall dort auflaufen.
Abschließend muss allen Beteiligten klar sein, dass die
Krankenhausstrukturreform nur der erste von vielen unbedingt notwendigen
Schritten hin zu einem funktionierenden und zukunftsfähigen Gesundheitssystem
sein kann. Es muss uns gelingen, die Effizienz des Systems so hoch wie möglich
zu halten. Dazu muss auch außerhalb des Gesundheitssystems, sei es in der
Bildungs- oder Sozialpolitik darauf hingewirkt werden, dass die individuelle
gesundheitliche Handlungskompetenz gesteigert und durch ausreichend Prävention
und Gesundheitsförderung die Entstehung von Erkrankungen und dadurch die
Belastung unseres Gesundheitssytems verringert wird.
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