LPT 23.03.19 – Seenotrettung stärken – Kriminalisierung von zivilen Seenotretter*innen beenden!

Wie groß muss der Friedhof meiner Insel noch werden?“ In einem einfachen Satz formulierte die Bürgermeisterin der Insel Lampedusa, Giusi Nicolini, bereits im Mai 2012 den skandalösen Zustand an den Außengrenzen der Europäischen Union. Zu diesem Zeitpunkt entflohen hunderttausende Menschen bereits dem brutalen Bürgerkrieg in Syrien und retteten sich in die Anrainerstaaten Libanon, Jordanien und die Türkei. Erst mit der Katastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013, bei der 366 Menschen auf dem Mittelmeer ums Leben kamen, erreichte das Schicksal geflüchteter Menschen die europäische Öffentlichkeit. Als Reaktion hierauf hat die italienische Regierung die Seenotrettungsmission „Mare Nostrum“ ins Leben gerufen. Dies war nicht zuletzt eine Antwort auf das Ausbleiben einer effektiven europäisch getragenen Rettungsmission. Auch wenn weitere 3.600 Menschen im Jahr 2014 auf der Flucht über das Meer starben, konnte Mare Nostrum insgesamt über 150.000 Menschenleben retten. Da die EU-Mitgliedstaaten die monatlichen Kosten von 9 Millionen Euro dieser Marineoperation jedoch nicht mittragen wollten, wurde Mare Nostrum Ende 2014 von Italien eingestellt. Diese, von der deutschen Bundesregierung maßgeblich mitverantwortete Entscheidung kostete in den folgenden Jahren Tausenden Menschen das Leben.

Private Seenotrettungsorganisationen wie Sea-Watch, SOS Mediterranée, Jugend Rettet, Sea-Eye oder Mission Lifeline versuchten dieses Vakuum, das durch das Ende von Mare Nostrum entstanden ist, zu füllen. Unter hohem Einsatz und eigenem Risiko konnten viele weitere Unglücke verhindert werden. Dieser Einsatz gegen das Sterben auf unserem Meer verdient Respekt, Anerkennung und unsere volle Solidarität. Den stetigen Kriminalisierungs- und Diffamierungsversuchen, denen diese Organisationen auch durch Teile unserer Bundesregierung und des Parlaments immer wieder. ausgesetzt sind, stellen wir uns mit aller Entschiedenheit entgegen.

Die jüngsten Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks zeigen, dass die Todesrate auf der Fluchtroute zwischen Libyen und Europa im vergangenen Jahr um fast das dreifache angestiegen ist. Insgesamt ließen im Schnitt sechs Menschen pro Tag ihr Leben auf dem Mittelmeer, und das sind nur die Opfer, von denen wir wissen.

Angesichts der hoffnungslosen Lage in Libyen ist es schlicht zynisch, wenn Teile der Bundesregierung die zivile Seenotrettung dafür verantwortlich machen, dass immer mehr Schutzsuchende den lebensgefährlichen Weg über das Mittelmeer nehmen. Denjenigen, die nach wie vor der Mär auf dem Leim gehen, die zivile Seenotrettung würde Menschen dazu animieren, über das Mittelmeer zu fliehen, sei deutlich gesagt: Die Ursachen hierfür liegen im Leid und den Erfahrungen, die Menschen in den libyschen Folterknästen und in der Hoffnungslosigkeit dieser Gewalt irgendwann zu entfliehen, machen mussten. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass dieser Einsatz für Menschenrechte kriminellen Schleppern Vorschub leistet. Das Fehlen legaler Wege in die EU ist, was dieses Geschäft überhaupt erst lukrativ macht.

Immer wieder berichten Schutzsuchende, sie würden lieber ihr Leben auf dem Meer lassen, als weiter in libyschen Foltergefängnissen misshandelt, vergewaltigt oder versklavt zu werden. Der jüngste Bericht von Human Rights Watch schildert eindrücklich die menschenunwürdige Situation in den dortigen Internierungslagern und fordert von der Europäischen Union und ihren Mitgliedsstaaten zurecht den Einsatz für eine funktionierende Seenotrettung vor der libyschen Küste und die zügige Aufnahme und Evakuierung vor allem besonders Schutzbedürftiger aus Libyen.

Statt jedoch all ihr politisches Gewicht in die Waagschale zu werfen und dafür zu sorgen, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Libyen arbeiten und geflüchtete Menschen registrieren und verteilen kann, bleibt die EU gegenüber den libyschen Autoritäten sprachlos. Die Kooperation mit der libyschen Küstenwache – bisher die einzige Maßnahme der EU Mitgliedsstaaten – ist dabei Teil des Problems und nicht Teil einer Lösung. Denn es gibt immer wieder Berichte und Belege, dass die libysche Küstenwache Boote mit Geflüchteten abdrängt oder sogar beschießt. Bei brutalen Einsätzen der libyschen Küstenwache sind zahlreiche in Seenot geratene Geflüchtete ums Leben gekommen. Darüber hinaus häufen sich in jüngster Zeit Vorfälle, bei denen Teile der libyschen Küstenwache Hilfsorganisationen in ihrem Einsatz zur Rettung Schiffbrüchiger systematisch an ihrer Arbeit hindern, sie selbst in Gefahr bringen, statt diese dem völkerrechtlichen Gebot entsprechend zu unterstützen. Eine Kooperation mit den libyschen Autoritäten darf es daher gegenwärtig nur im Bereich des Schutzes von Menschenrechten geben.

Gleiches gilt auch für die Transit- und Herkunftsstaaten von Geflüchteten. Uns muss immer klar sein: Menschen fliehen vor Krieg, Verfolgung, existenzieller Not und zunehmend auch aufgrund von Naturkatastrophen; in den allermeisten Fällen innerhalb ihres Landes oder in Nachbarstaaten, oft in eine dramatische humanitäre Lage. Neben der humanitären Hilfe in Kriegs- und Krisengebieten und einer auf Frieden ausgerichteten Außenpolitik, ist es zentral, dass die EU geeignete Maßnahmen zur Rettung von Menschenleben auf dem Mittelmeer auf den Weg bringt.

Dass die “Sea-Watch 3” zuletzt wieder mit 47 aus Seenot Geretteten an Bord auf dem Mittelmeer Wochen vor der sizilianischen Küste ausharren musste, bis sich genügend Staaten zur Aufnahme bereit erklärten, ist ein Armutszeugnis. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte musste veranlassen, dass Italien den Menschen medizinische Unterstützung, Essen und Getränke zukommen lässt. Es ist beschämend, dass mitten in der Europäischen Union solch eine humanitäre Selbstverständlichkeit mittlerweile gerichtlich angeordnet werden muss.

Die Bundesregierung muss diesem Wettbewerb der Schäbigkeit rechter Regierungen innerhalb der EU endlich Einhalt gebieten und sich für eine nachhaltige Verantwortungsteilung zum Schutz von Geflüchteten einsetzen. Das Feilschen um Aufnahmekontingente auf dem Rücken von Menschen, die Schutz suchen, muss endlich ein Ende haben. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie sich für eine grundlegende Lösung für aus Seenot Geretteten einsetzt, notfalls mit einer Koalition williger EU-Mitgliedsstaaten.

Der politische Umgang mit der zivilen Seenotrettung und der Rechtsruck in zahlreichen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch die Stimmen der Humanität gibt. Neapel, Barcelona aber auch Kiel, Lübeck und Flensburg – alle diese Städte und Gemeinden haben sich zu sicheren Häfen erklärt und zeigen Bereitschaft, aus Seenot gerettete Schutzsuchende aufzunehmen. Allein bundesweit sind es mittlerweile 32 Kommunen. Diese Kommunen aber auch Organisationen wie die Seebrücke müssen in ihrer Forderung, diesem unsäglichen Umgang mit der Seenotrettung die Stirn zu bieten und Verantwortung zu übernehmen, von uns unterstützt werden

Wir werden uns daher auf allen Ebenen dafür einsetzen, dass

1. alles dafür unternommen wird, damit Schutzsuchende sich an unseren Außengrenzen nicht in Lebensgefahr begeben müssen; Wir begrüßen die Initiative des Europäischen Parlamentes, das im Dezember 2018 die EU-Kommission damit beauftragt hat, ein Konzept für humanitäre Visa auszuarbeiten. Die Visa sollen es Schutzbedürftigen erlauben, legal nach Europa einzureisen und hier Schutz zu beantragen, ohne sich dafür erst in Lebensgefahr begeben zu müssen.

2. Kooperationen mit und politische Maßnahmen in den Herkunfts- und Transitländern von Geflüchteten nicht den eigenen innenpolitischen Interessen folgen, sondern vornehmlich dazu beitragen, Ungerechtigkeiten und Ursachen von Flucht zu beseitigen, sowie die lokale Zivilgesellschaft in ihren Rechten zu stärken;

3. die EU Mitgliedsstaaten gemeinsam eine staatlich finanzierte Seenotrettung auf den Weg bringen;

4. die Haft- und Folterzentren in Libyen geschlossen und die sich darin befindlichen Menschen in Sicherheit gebracht werden;

5. Man sich gegenüber den libyschen Autoritäten uneingeschränkt dafür einsetzt, dass das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen in Libyen arbeiten und geflüchtete Menschen registrieren und resettlen kann;

6. die Arbeit der zivilen Rettungsmissionen im Mittelmeer unterstützt und nicht, wie gegenwärtig, durch die libysche Küstenwache behindert werden;

7. die unsäglichen Kriminalisierungsversuche von zivilen Seenotretter*innen ein Ende finden;

8. Sich die Bundesrepublik gegenüber den anderen europäischen Mitgliedsstaaten dafür einsetzt, dass es einen verbindlichen Mechanismus zur Verteilung und klare Aufnahmezusagen für aus Seenot gerettete Menschen gibt;

9. sichere Fluchtwege nach Europa geschaffen werden und bereits bestehende Möglichkeiten der legalen Einreise für Schutzsuchende, wie etwa die Familienzusammenführung, humanitäre Aufnahmeprogramme oder das Resettlement-Programm der Vereinten Nationen, ausgebaut werden;

10. unsere Konsularabteilungen und deutschen Auslandsvertretungen in den Krisenregionen und Transitstaaten von Geflüchteten endlich personell adäquat ausgestattet werden, so dass Visaanträge auf Familienzusammenführung in akzeptablen Fristen gestellt und bearbeitet werden können;

11. das Recht auf Asyl von Geflüchteten auf hoher See, wie es insbesondere auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte schon im Jahr 2008 festgestellt worden ist, geschützt wird, und deutsche aber auch andere europäische Institutionen sich nicht direkt oder indirekt an Zurückweisungen von Geflüchteten auf hoher See oder an Land beteiligen;

12. Seenotrettungsschiffe und andere Schiffe mit aus Seenot Geretteten an Bord in den nächsten sicheren Hafen innerhalb Europas einlaufen dürfen und die geretteten Menschen ihr Recht auf eine unvoreingenommene Asylprüfung wahrnehmen können;

13. es auf europäischer Ebene einen finanziellen Ausgleich für entstandene Verluste bei Handels-und Kreuzfahrtschiffen, Fähren und Fischereifahrzeugen gibt, wenn diese Menschen aus Seenot gerettet haben;

14. Kapitäninnen und Kapitäne, die Menschen aus Seenot gerettet und in einen europäischen Hafen gebracht haben, hierfür strafrechtlich nicht belangt werden dürfen;

15. § 23,1 AufenthG dahingehend geändert wird, dass die Länder nicht mehr das Einvernehmen mit dem Bundesinnenministerium herstellen müssen, um humanitäre Aufnahmeprogramme auf den Weg zu bringen;

16. Kommunen, die ihre Bereitschaft zur Aufnahme von Geflüchteten erklärt haben, mit diesem Anliegen durch die Landesregierungen unterstützt werden