In den letzten Monaten haben sich verschiedene Gruppierungen formiert, die auf unterschiedlichsten Wegen Kritik an den Maßnahmen zur Eingrenzung des Corona-Virus äußern. Der Protest organisiert sich häufig über Chatgruppen. Dort wird immer wieder auch zu Demonstrationen aufgerufen. Selbstverständlich ist demokratischer Protest – auch und gerade gegen die durchaus weitreichenden Freiheitseinschränkungen im Zuge von Corona-Maßnahmen – legitim. Aber es ist zu beobachten, dass viele dieser Demonstrationen von Rechtspopulist*innen, Rechtsextremen, Reichsbürger*innen, Rassist*innen und Antisemit*innen unterlaufen und dafür missbraucht werden, die freiheitlich-demokratische Grundordnung in Frage zu stellen, Rechtsstaat und Demokratie verächtlich zu machen, offen zu Gewalt aufzurufen und krudeste Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Als Demokrat*innen distanzieren wir uns von den auf diesen Demonstrationen vorgebrachten Thesen und erinnern daran, dass jede*r Demokrat*in gut beraten ist, genau zu prüfen, an wessen Seite er*sie demonstriert.
Die Gefahr der Pandemie ernst nehmen!
Parawissenschaftliche Erklärungsansätze gefährden die Gesundheit vieler Menschen in Zeiten einer Pandemie, insbesondere die von vulnerablen Gruppen.
SARS-CoV-2 kann zu schwerwiegenden Krankheitsverläufen mit multiplen Organschäden und Todesfolge führen und kann auch in einem symptomfreien Stadium der Erkrankung ansteckend sein. Dabei verbreitet sich das Virus ohne Gegenmaßnahmen rasant und sorgt schnell für eine Überlastung des Gesundheitssystems. Die Langzeitauswirkungen aus einer Ansteckung mit dem Virus sind noch nicht alle bekannt. Fest steht jedoch, dass es bei einigen Menschen auch langfristige Auswirkungen auf die Gesundheit geben wird. Auch wenn in den letzten Monaten sehr viele Studien veröffentlicht worden sind, ist der Zeitraum, in dem Daten gesammelt und wissenschaftlich ausgewertet werden konnten, vergleichsweise kurz. Bekannt ist, dass ältere Menschen und Menschen mit chronischen Vorerkrankungen überdurchschnittlich stark von schweren Krankheitsverläufen betroffen sind. Besonders ihnen gilt unsere Solidarität.
Für uns gilt, dass die grundlegenden Maßnahmen (sogenannte AHACL-Regel) zur Bekämpfung der Covid-19 Pandemie wichtig und derzeit unersetzlich sind, was natürlich nicht heißt, dass sie nicht regelmäßig auf ihre Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit hin überprüft werden müssen. Das ist eine rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit – für die auch wir uns als Grüne in Land und Bund immer wieder eingesetzt haben.
Das öffentliche Gesundheitssystem stärken!
Auch bei konsequenter Anwendung der sog. AHACL-Regeln sowie der Beachtung der durch die Behörden vorgeschriebenen Maßnahmen kann ein absoluter Schutz der Bürger*innen und Bürger nicht sichergestellt werden. Aus diesem Grund zielen alle veranlassten Maßnahmen nicht nur darauf ab, den/die Einzelne*n vor einer Ansteckung zu schützen, sondern die Gefahr einer Ansteckung und weiteren Ausbereitung so zu minimieren, dass unser Gesundheitssystem die große Herausforderung tatsächlich bewältigen und Kranke gestreckt über einen längeren Zeitraum behandeln kann.
Die Corona-Pandemie hat in verschiedenen Ländern der Welt gezeigt, dass der Qualität des Gesundheitssystems eine entscheidende Bedeutung zukommt. Die Pandemie trifft vor allem jene Länder schwer, die in der Vergangenheit auf eine Privatisierung und Ökonomisierung des Gesundheitswesens gesetzt haben. Für uns steht fest: Ein gut funktionierendes Gesundheitssystem darf nicht allein Marktmechanismen unterworfen sein.
Daher setzen sich Bündnis 90/Die Grünen dafür ein, dass Renditen nicht über die Gesundheit von Menschen gestellt werden. Wir wollen die Gesundheitsämter personell und logistisch stärken, damit sie auch zukünftig in der Lage sind, ihre wichtigen Aufgaben zu erfüllen und die Bevölkerung auf wissenschaftlicher Grundlage beraten und helfen können.
Die Demokratie bewährt sich gerade in der Krise. Sie ist ein stets lernendes, sich selbst korrigierendes System. Regierungen und Parlamente sind in der Verantwortung, Entscheidungen und Maßnahmen evidenzbasiert zu treffen, sie gut zu begründen, transparent zu kommunizieren und ihre Umsetzung zu kontrollieren. Dies gilt insbesondere während einer Pandemie, in welcher die Gesundheit vieler Menschen gefährdet ist. Daher kommt dem Schutz der Gesundheit während einer Pandemie eine besondere Rolle zu, da hiermit Grundrechtseingriffe für einen begrenzten Zeitraum gerechtfertigt werden können. Zwar ist während einer Pandemie schnelles Handeln zweifellos geboten. Eingriffe in die Grundrechte müssen sich jedoch auf das unbedingt Notwendige beschränken, für den jeweils konkret zu benennenden Zweck geeignet, erforderlich und durchweg befristet sein. Sie sind fortlaufend hinsichtlich dieser Kriterien und neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse zu überprüfen. Sie müssen sich auch in der Krise am rechtsstaatlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit messen lassen, sich stets auf das mildeste Mittel beschränken und dürfen nicht willkürlich und diskriminierend sein.
Wie wir heute wissen, waren nicht alle Maßnahmen zu Beginn der Pandemie 2020 gleichermaßen effektiv; einige waren unnötig drastisch – und wurden daher zu Recht von Gerichten nach entsprechenden Überprüfungen zurückgenommen. Unserer Auffassung nach ist der Ansatz der Prävention in einer Pandemie-Situation richtig. Es gilt zunächst, schnell zu reagieren, um Schlimmeres zu verhindern, was bei einem geringen Wissensstand über eine Krankheit allerdings dazu führen kann, das einzelne Maßnahmen sich zu einem späteren Zeitpunkt als unnötig oder zu weitreichend herausstellen können. Deutschland steht im internationalen Vergleich der Infektionszahlen bezüglich der Corona Pandemie gut da. Neben vieler anderer Faktoren hat sehr wahrscheinlich das schnelle und konsequente Reagieren der Kommunen, Länder und auch der Bundesregierung einen größeren Schaden abwenden können.
Wir bekunden unsere große Anerkennung und danken den Menschen dafür, wie sie sich in den vergangenen Wochen und unter teils erheblich erschwerten, mit Existenzgefährdungen verbundenen, individuellen Lebensbedingungen an die mit der Eindämmung des Corona-Virus verbundenen Einschränkungen und Auflagen gehalten und hierbei eine überwältigende gesellschaftliche Solidarität bewiesen haben. Uns Grünen ist klar, dass durch die Corona Maßnahmen die wirtschaftliche Situation vieler Menschen unter Druck geraten ist. Existenzen sind bedroht und die Lebensrealität hat sich verändert. Hier müssen geeignete Konzepte weiter diskutiert werden, um den Menschen in ihren jeweiligen Lebenslagen konkret zu helfen. Wir werden auch weiterhin unseren Teil dazu leisten, dass Menschen schnell und unbürokratisch geholfen wird.
Der Wert der Freiheit wird in der Krise besonders deutlich erfahrbar. Für uns Grüne bleibt selbstverständlich, dass wir unser Grundgesetz und unsere Freiheitsrechte verteidigen. Genauso klar ist jedoch, dass wir uns ganz bestimmt nicht mit Rechtsextremist*innen, Rechtspopulist*innen, Antisemit*innen, Rassist*innen sowie Verschwörungserzähler*innen gemein machen. Auch unsere Geschichte lehrt uns: Es darf keine Toleranz gegenüber denjenigen geben, die für Intoleranz einstehen. Dies ist eine Grüne Selbstverständlichkeit. Für Rechtsextremist*innen, Rechtspopulist*innen, Antisemit*innen, Rassist*innen sowie Verschwörungserzähler*innen ist kein Platz in der Grünen Partei.
Pressefreiheit achten!
Während viele der Demonstrationen systematisch unterwandert werden, zeigt sich, dass zeitgleich Presseberichterstatter*innen immer mehr unter Druck geraten. Sie werden nicht selten unverhohlen bedroht. Gerade dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk, ein echtes Pfund in Zeiten eines weltweit zunehmenden Populismus, um den uns zahlreiche andere Länder beneiden, wird die Unabhängigkeit pauschal abgesprochen. Durch dieses Vorgehen delegitimiert sich die selbsternannte Freiheitsbewegung selbst. Die Pressefreiheit ist für uns ein hohes Gut. Nur mit einer freien und kritischen Presse kann ein demokratischer Staat funktionieren. Wir Grüne stehen daher hinter der Pressefreiheit und fordern, dass diese geachtet wird. Der Austausch von Meinungen, der kritische Diskurs, eine aktive Zivilgesellschaft, eine freie und vielfältige Kultur und freie Medien sind Grundbedingungen einer demokratischen Öffentlichkeit. Auch angesichts der vielfachen Verbreitung von bewusst lancierten Falschnachrichten im Netz ist der ÖRR eine Grundsäule für ein faktenbasiertes und qualitativ hochwertiges Angebot.
Parlamente stärken!
Die Krise ist nach der Verfassungsordnung ganz gewiss nicht allein „die Stunde der Exekutive“. Im Gegenteil: Parlamente sind Repräsentationsort unserer Demokratie par excellence. Diese Orte zu schützen, muss Auftrag aller Demokrat*innen sein. Gerade wenn Versammlungen nur unter, wenn überhaupt, erschwerten Bedingungen stattfinden können, sind die öffentliche Debatte, die Rede und Gegenrede, die Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen im Parlament ein Grunderfordernis unserer freiheitlichen Verfassungsordnung. Parlamente dürfen nicht von Rechtsextremist*innen für ihre Propaganda missbraucht werden. Dagegen muss sich der Rechtsstaat mit allen Mitteln wehren.
Wissenschaft verteidigen!
Wir stehen auf der Seite der Wissenschaft, wenn sie sich gegen Angriffe aus verschiedenen Richtungen verteidigen muss. Wissenschaftliche Ergebnisse müssen ernst genommen werden und im politischen Aushandeln von Kompromissen einen hohen Stellenwert einnehmen. Um zu verhindern, dass Menschen Verschwörungserzählungen zum Opfer fallen, müssen empirische Methoden und Prozesse sowie wissenschaftliche Erkenntnisse für die Allgemeinbevölkerung verständlich aufbereitet werden. Dabei ist völlig klar, dass in der Wissenschaft oft auch widersprüchliche Aussagen zu neuen Sachverhalten existieren. Während wissenschaftliche Theorien sich widersprechen oder unterschiedliche Perspektiven auf eine Fragestellung haben können, versuchen Verschwörungserzählungen einen allgemeinen unanfechtbaren Geltungsanspruch durchzusetzen. Theorien können scheitern oder sich als falsch herausstellen, Verschwörungserzählungen nicht. Dies zeigt, dass krude Verschwörungen ein autoritäreres Verständnis beinhalten. Die Rahmenbedingungen für eine gute Wissenschaftskommunikation sollten gestärkt werden, denn das beste Mittel gegen Verschwörungserzählungen und Fake News ist eine gute Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Diese Stärkung kann z.B. im Rahmen der sog. Third Mission der Hochschulen oder der Vermittlung von Wissenschaftskommunikation innerhalb von Studiengängen erfolgen. Es braucht hier eine landesweite Strategie und konkrete Anreize für Wissenschaftler*innen, die zusammen mit den Hochschulen erarbeitet werden sollten.
Politische Bildung stärken!
Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein bekräftigen die Forderungen des Beschlusses „Politische Bildung in Schleswig-Holstein stärken“ des Landesparteitages aus dem November 2019. Um langfristig etwas gegen Fake News und Verschwörungserzählungen zu machen, ist politische Bildung unersetzlich. Politische Bildung ist essentiell, um kritisches Denken hinsichtlich politischer und wissenschaftlicher Sachverhalte anzuregen und Menschen Werkzeuge an die Hand zu geben, die ihnen ermöglichen das komplizierte Dickicht unserer Welt zu lichten.
Demokratiebildung stellt eine wichtige Säule der Wertebildung an Schulen dar. Wir wollen, dass Demokratiebildung fächerübergreifend weiter gestärkt wird und dadurch einen höheren Stellenwert bekommt. Das Erlernen von kritischem Denken muss an Schulen und anderen Bildungsorten ein wichtiger Baustein von Bildung sein. Es darf jedoch nicht nur in der Schule angesetzt werden, sondern es müssen für alle Altersgruppen Angebote geschaffen werden, um politische Bildung generationenübergreifend zu fördern. Insbesondere Stiftungen und Verbände, die sich mit Verschwörungserzählungen, Rechtsextremismus und -populismus auseinandersetzen, müssen in ihrer Arbeit unterstützt werden, ohne dass ihre Unabhängigkeit gefährdet wird. Wir brauchen endlich ein Demokratiefördergesetz.
Soziale Netzwerke nicht sich selbst überlassen
Verschwörungserzählungen sind eine ernstzunehmende Gefahr für unsere Demokratie. Durch Soziale Medien, Webseiten, geschlossene Gruppen und Infokanäle bei Messengerdiensten werden Verschwörungserzählungen rasant verbreitet. Dabei kommt Betreiber*innen von Sozialen Medien und Messengerdiensten eine besondere Verantwortung zu, wenn öffentliche Gruppen Hass und Hetze verbreiten. Die Betreiber solcher Netzwerke müssen dafür sorgen, dass ihre Dienstleistungen nicht öffentlich dazu missbraucht werden, um demokratische Prozesse gezielt zu manipulieren, Menschen zu bedrohen und öffentlich Unwahrheiten und Verschwörungserzählungen zu verbreiten. Mit Desinformationskampagnen können Wahlen beeinflusst und unser demokratisches Zusammenleben nachhaltig gestört werden. Insbesondere Verschwörungserzählungen bergen die Gefahr, dass das Vertrauen in demokratische Institutionen und die Wissenschaft nachhaltig wegbricht. Dem müssen wir uns als Rechtsstaat entschlossen entgegenstellen.
Die Bundesregierung und unsere Sicherheitsbehörden müssen diese Gefahren ernst nehmen.
Der Landesvorstand wird beauftragt, entsprechend lautende Anträge auf der BDK als Landesverband Schleswig-Holstein zu unterstützen bzw. Mitantragsteller zu werden.
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Beschlossen auf dem digitalen Landesparteitag am 31.10.20
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