LPT 23.03.19 – Risiken und Chancen der „neuen Gentechnik“ in der Humanmedizin 23. März 2019 Der Parteitag möge beschließen, dass sich die Landespartei mit dem Thema rote Gentechnik eingehend befasst. Hierzu regen wir einen Diskussionsprozess mit Befassung in LAGen, Fraktion und auf einem Fachkongress an. Der Prozess soll in einem Antrag an den Landesparteitag münden. Begründung Mit den verschiedenen „neuen Gentechniken“ unter dem Schlagwort CRISPR/Cas, eines der neuen Verfahren, Bewegung in die Diskussion über Verfahren und die die Bioethik in der roten Gentechnik gekommen. Mehrere hundert Medikamente, Wirkstoffe, Impfstoffe basieren inzwischen auf der Basis von gentechnischen Verfahren und werden in geschlossenen Systemen erzeugt. Die „neue Gentechnik“ muss rechtssicher geregelt und die Forschung dazu transparent überwacht werden. Die Forschung an und mit CRISPR/Cas muss im Sinne des Grundsatzes „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung“ möglich sein, sofern entsprechende Sicherheitskonzepte und Ethikrichtlinien vorliegen. Dies betrifft sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung. DNA-Veränderungen mittels CRISPR/Cas bedürfen einer klaren Dokumentations- bzw. Kennzeichnungspflicht, so dass die´Nachvollziehbarkeit langfristig gewährleistet wird. Diese trifft hier insbesondere zu, da die nachträgliche Nachweisbarkeit sehr schwer sein kann. Das Versprechen sogenannter Keimbahneingriffe ist, erblich bedingte Erkrankungen zu verhindern. Zuweilen wird diese Technik als etwas nicht mehr zu Verhinderndes wahrgenommen. Bisher wird sie aber von seriösen Wissenschaftler*innen nicht angewendet. In Deutschland sind Keimbahneingriffe nach § 5 Embryonenschutzgesetz verboten. Die Auswirkungen über die Embryonalentwicklung und das Zusammenspiel der einzelnen genetischen Komponenten ist zu wenig bekannt, als dass die Auswirkungen von Keimbahneingriffen umfassend beherrscht werden können. Generell kämen die Keimbahneingriffe nur für monogenetisch determinierte Erkrankungen in Frage. Die meisten Erkrankungen sind jedoch multifaktoriell verursacht. Es gibt beispielsweise kein Demenz-Gen, wenn überhaupt, liegen genetische Determinanten auf verschiedenen Genen. Wesentlich sind Umweltfaktoren, Ernährung und Lebensstil für viele Erkrankung und deren Verlauf. Als Folge von Keimbahneingriffen können Embryonen entstehen, die unbeabsichtigte Veränderungen auch in nicht betroffenen Teilen ihres Erbguts aufweisen. Diese sogenannten Off-Target-Effekte lassen sich nicht sicher ausschließen. Wir fordern, uns mit Fragen der Bioethik und der Sinnhaftigkeit der „neuen Gentechnik“ auseinanderzusetzen. Auch der Ethikrat begleitet die Debatte. Die „neue Gentechnik“ ist sicherlich keine Wundertechnologie. Welches Potenzial CRISPR/Cas hat, ist noch nicht absehbar, deren Möglichkeiten und Risiken müssen umfassend erörtert und debattiert werden. Wesentliche Risiken und Herausforderungen in der praktischen Anwendung sind • die Gewährleistung der biologischen Sicherheit bei den zugelassenen Therapien mit Genscheren wie der genetischen Veränderung von Immunzellen zur Behandlung von Blutkrebs, • die kritische Bilanzierung neuer Therapiemethoden auf Behandlungserfolge und unerwünschte Nebenwirkungen, • die unabhängige (staatliche) Überwachung und Dokumentation von Genmanipulationen inkl. Weitergabe und Aufbewahrung und die dafür notwendige personelle und finanzielle Ausstattung des Paul-Ehrlich-Instituts. Darüber hinaus stellen sich zahlreiche ethische Fragen über potenziell mögliche, sich aber nicht in der Anwendung befindende medizinische Eingriffe, insbesondere genetische Veränderungen am Spermium oder der (befruchteten oder unbefruchteten) Eizelle. • Einwilligung der Betroffenen (nachfolgenden Generationen) • Verzweckung von Embryonen • Off-Target-Effekte – Welche Risiken sind wir als Gesellschaft bereit, in Kauf zu nehmen? • Diskrepanz zwischen Heilsversprechen und tatsächlichem Fortschritt • erhebliche Interessen der Pharma-Industrie • Was macht es mit einem Kind, was bedeutet es für die Eltern- Kind-Beziehung, wenn ein Kind genetisch verändert wurde. Welche Auswirkungen hat es für uns Menschen, wenn wir nicht mehr für unser So-Sein, in unserer Individualität anerkannt und geliebt sind, mit unseren Stärken und Schwächen, sondern weil wir „optimiert“ wurden? • Wie prägen solche Techniken unseren Blick auf Behinderungen als etwas zu Vermeidendes? Welchem Druck werden Eltern ausgesetzt, diese Technik auch zu nutzen, um die Geburt eines Kindes mit einer Erbkrankheit zu vermeiden? Was würde das generell für unsere vielfältige Gesellschaft bedeuten? Die „neue Gentechnik“ um CRISPR/Cas wird im globalen Kontext betrieben. Angesichts der internationalen Verflechtungen sind politische Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene notwendig. In der Gentechnik haben wir auch bei der klassischen Gentechnik immer einen Unterschied zwischen grüner und roter Gentechnik gemacht und insbesondere die grüne Gentechnik abgelehnt. Die rote Biotechnologie bezeichnet den Bereich, der sich schwerpunktmäßig mit der Forschung und Entwicklung sowie Herstellung. medizinisch relevanter Produkte wie Medikamenten, Therapieformen, etc. beschäftigt. Die Herstellung erfolgt in geschlossenen Systemen. Die CRISPR/Cas-Technik (eine von mehreren sogenannten Genscheren) lässt es zu, Erbgutabschnitte gezielt zu entfernen und auszutauschen. Dabei dient ein Molekül als Schere, welches die vorgesehenen neuen DNA-Schnipsel transportiert. Hierdurch ist CRISPR/Cas präziser als ältere Techniken, weswegen Forscher*innen auch davon sprechen, das Genom zu editieren (Genomediting). Unabhängig vom Anwendungskontext wird Genomediting von vielen Akteur*innen mit neuen Hoffnungen und Versprechen in Verbindung gebracht. Zum einen wird es durch die Forschung mit CRISPR/Cas möglich, das Genom als solches besser zu verstehen. Das ist für die Grundlagenforschung ebenso wichtig wie für die Entwicklung neuer Anwendungen. Zum anderen kann das Genom präziser und effizienter verändert werden, als das mit bisherigen gentechnischen Verfahren möglich ist. Die Forschung an und mit CRISPR/Cas muss im Sinne des Grundsatzes „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung“ möglich sein, sofern entsprechende Sicherheitskonzepte und Ethikrichtlinien vorliegen. Bisher liegen weder entsprechende Sicherheitskonzepte vor, noch ist das Paul-Ehrlich-Institut finanziell und personell so ausgestattet, dass das biologische Risiko beherrschbar ist. Dies betrifft sowohl Grundlagen- als auch anwendungsorientierte Forschung. DNA-Veränderungen mittels CRISPR/Cas bedürfen einer klaren Dokumentations- bzw. Kennzeichnungspflicht, so dass die Nachvollziehbarkeit langfristig gewährleistet wird. Diese trifft hier insbesondere zu, da die nachträgliche Nachweisbarkeit sehr schwer sein kann. Durch unabhängige Zulassungsverfahren muss die Sicherheit von Organismen, die mittels mit Genomediting verändert wurden, geprüft werden. Die Nutzung in geschlossenen System halten wir auch bisher schon für gut machbar. Diese geschlossenen Systeme sind allerdings schwerlich herzustellen und einzuhalten, weil die Anwendung der CRISPR/Cas-Technik verhältnismäßig einfach und fast überall stattfinden kann. Sobald keinerlei Bedenken für Mensch und Umwelt bestehen und in der Nutzung der Organismen ein signifikanter Vorteil besteht, sollte die Anwendung möglich sein. Beides ist bisher nicht gegeben. Dabei ist auch unter Nutzung von Langzeitstudien das Vorsorgeprinzip zu beachten. Das wachsende Eingriffspotential in die Erbsubstanz von Mensch, Tier, Pflanzen und Bakterien sowie die rasante Entwicklung in diesem Bereich machen klar: Gerade auch die neuen Gentechniken müssen innerhalb des Risikoprüfungs- und Zulassungsregimes des Gentechnikrechts überwacht werden. Das gebieten die Vorsorge für Umwelt und Gesundheit sowie auch die aktuelle Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes. Als Grüne stehen wir klar zu wissenschaftlicher Erkenntnis und faktenbasierten politischen Entscheidungen. Dafür sind wir auf eine freie Wissenschaft angewiesen, die sich neuer Fragestellungen und Entdeckungen unvoreingenommen annimmt. Die Forschung im Bereich der Biologie, Chemie und Medizin hin zur molekularen Genetik und letztlich zur Gentechnik hat uns bis heute wertvolle Erkenntnisse über Lebewesen und Krankheiten ermöglicht. Wir vertreten deshalb das Prinzip „Wissenschaft in Freiheit und Verantwortung“. Die relativ neue Technik der genetischen Manipulation durch die sogenannte Genschere, ist derzeit noch in der Phase der Erforschung, insbesondere auch bezüglich möglicher Risiken. Im Kontext roter Gentechnik stellen sich angesichts der Perspektiven neuer Therapiemöglichkeiten ethische Fragen. Die CRISPR/Cas Technik lässt sich relativ unaufwändig und nicht nur in Hightec Laboren auf die ganze Flora und Fauna anwenden. So sind Veränderungen an Nutzpflanzen genauso möglich, wie der Einsatz der Genschere um Erbkrankheiten sozusagen auszuschneiden. CRISPR/Cas ist dabei immer ein Werkzeug mit dem negative als auch positive Ziele verfolgt werden können und deren Auswirkungen sehr unterschiedlich sein können. Daher muss in geschlossenen Systemen und unter Sicherheitsstufen gearbeitet werden. Besonderen Diskussionsbedarf sehen wir im Bereich medizinischer Produkte und Behandlungen bei Patient*innen. Da es sich um eine Manipulation direkt am Erbgut handeln kann, würde eine solche Behandlung in die Keimbahn eingreifen und so auch in den folgenden Generationen Wirkung zeigen. Was das dann wiederum für Pränataldiagnostik und für Familien mit Erbkrankheiten und deren Entscheidungen bedeutet wirft die nächsten Fragen auf. Dürfen wir über das Erbgut unserer Kinder entscheiden? Tun wir das nicht auch, wenn wir in Zukunft vorhandene Methoden nicht nutzen? Ähnliche ethische Fragen stellen sich schon jetzt in der Pränataldiagnostik oft und werfen auch ihren Schatten auf Menschen, die von Erbkrankheiten betroffen sind. Ein gutes Beispiel ist die Diskussion um Pränataldiagnostik und damit verbundene Abbrüche von Trisomie 21 Schwangerschaften und den Umgang mit Menschen, die mit Trisomie 21 geboren werden und leben. Andererseits müssen wir uns auch fragen, ob wir Patient*innen eine mögliche Behandlung mittels Genediting vorenthalten dürfen? Wie verhalten wir uns, wenn ein CRISPR/Cas Tourismus entsteht um sich in anderen Ländern behandeln zu lassen? Neben Fragen der Machbarkeit stellen sich also vor allem Fragen der Sinnhaftigkeit und der Bioethik von Gentechnik. Abschließend beantwortet ist derzeit keine dieser Fragen und wir möchten diese Diskussion öffentlich und lebendig halten. Gene-Editing ist sicherlich keine Wundertechnologie. CRISPR/Cas ist jedoch eine Technik mit sehr breitem Potenzial, deren Möglichkeiten einzeln erörtert und debattiert werden muss. Die neue Gentechnik um CRISPR/Cas wird nicht wieder verschwinden, da Forschung und Entwicklung im globalen Kontext stattfinden und international weiter an und mit CRISPR/Cas gearbeitet wird. Angesichts der internationalen Verflechtungen sind politische Maßnahmen auf europäischer und internationaler Ebene notwendig.