LPT 5/2024: Klimaneutralität – CCS kann nur die allerletzte Option sein 4. Mai 202418. Juni 2024 Der Klimawandel ist eine der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts und schreitet trotz globaler Verpflichtungen wie dem Pariser Klimaabkommen ungebremst voran. Bis heute ist die globale Durchschnittstemperatur gegenüber dem vorindustriellen Zeitalter um etwa 1,1° C angestiegen und wird bis zum Ende des Jahrhunderts weiter zunehmen. Die Folgen des menschengemachten Klimawandels verändern das Leben der Menschen bereits heute stark. Deutschland strebt an, bis zum Jahr 2045 Treibhausgasneutralität zu erreichen. In Schleswig-Holstein sieht der Koalitionsvertrag 2022-2027 vor, Schleswig- Holstein bis zum Jahr 2040 zum ersten klimaneutralen Industrieland zu entwickeln. Zur Erreichung dieser Ziele sind große Anstrengungen erforderlich. Jedoch werden selbst bei einer sehr schnellen und starken Reduzierung der Treibhausgas (THG-)Emissionen bis zur Mitte des Jahrhunderts Restemissionen in Höhe von etwa 5 % der Emissionen von 1990 in einzelnen Branchen (Kalk- und Zementindustrie, thermische Abfallverwertung) verbleiben, die aus heutiger Sicht nicht durch Substitution, Innovation, Erneuerbare Energien oder Effizienzmaßnahmen vermieden werden können. Diese unvermeidbaren Restemissionen müssen durch CO2-Senken ausgeglichen werden. Hierfür sind natürliche CO2– Speicher wie Wälder, Moore und Seegraswiesenprädestiniert und müssen erhalten und ausgebaut werden. Hierdurch werden häufig gleich mehrere positive Effekte erzielt (Klimaschutz, Klimaanpassung, Gewässerschutz, Biodiversität, Naherholung). Eine mögliche zusätzliche Option, auch vor dem Hintergrund, dass die natürlichen CO2-Speicher durch die Folgen des Klimawandels bedroht sind, kann die technische Abscheidung und anschließende Deponierung von CO2 in unterirdischen geologischen Formationen (Carbon Capture and Storage) sein. Die heutige Diskussion um CCS unterscheidet sich fundamental von der, die vor zehn Jahren geführt wurde: Damals sollte CCS der Fortführung der Kohlekraft und anderer fossiler Stromerzeugungsanlagen dienen. Heute sind der Kohleausstieg und ist die Dekarbonisierung des Stromsektors bis 2035 politisch gesetzt. Für uns geht es um die- nach aktuellem Stand der Technik – unvermeidbare Restemissionen. Es stellt sich die Frage, ob diese in die Atmosphäre emittiert, durch natürliche CO2– Senken gespeichert werden können oder unterirdisch deponiert werden sollen. In unserem Programm zu Landtagswahl 2022 haben wir uns ganz klar gegen das Verpressen von CO2 im Boden ausgesprochen, dennoch stellen wir fest: Auch wenn wir nun unter der neuen Bundesregierung auf dem Weg zur Klimaneutralität endlich schneller vorankommen, wird es nach aktuellem Stand einige wenige Bereiche geben, die trotz Umstellung und Vermeidung wenige unvermeidbare Restemissionen haben werden. Für diese brauchen wir eine Lösung, damit die Emissionen nicht in die Atmosphäre gelangen. Der Blick auf diese Technologie hat sich in den letzten Jahren auch bei Wissenschaft und Klimaaktivist*innen (z.B. Weltklimarat, wwf und NABU) durchgesetzt. Wir Grüne wollen verhindern, dass CCS zum Hintertürchen wird, den nötigen Umbau der Wirtschaft zu umgehen und definieren klare Leitplanken, für die mögliche Anwendung der CCS-Technologie – dabei hat insbesondere der Schutz menschlicher Gesundheit und der Umwelt oberste Priorität: CO2 Vermeidung hat absolute Priorität 1. Zur Erreichung der Klimaschutzziele haben die Vermeidung von THG-Emissionen, der konsequente Ausbau der Erneuerbaren Energien, ein effizientes Energiemanagement, die Dekarbonisierung der Industrie und des Verkehrssektors, eine zügige Wärmewende, eine umfassende Kreislaufwirtschaft, die Entstehung einer nachhaltigen Landwirtschaft sowie eine deutliche Verminderung der verbrauchten Ressourcen absoluten Vorrang. 2. Verbleibende, aus heutiger Sicht unvermeidbare Restemissionen müssen durch die Speicherung von CO2 ausgeglichen werden. Die Speicherung soll dabei vorrangig in natürlichen Senken, wie Wäldern, Mooren, Dauergrünland, Salzwiesen, Seegraswiesen und den Meeren erfolgen. Dazu sind die natürlichen CO2-Senken zu erhalten, aufzubauen und wiederherzustellen. 3. Es muss ausgeschlossen werden, dass der Einsatz von CCS die Entwicklung von Prozessen oder Technologien zur Vermeidung von CO2-Emissionen bei industriellen Prozessen ausbremst. Es gilt dabei den hierarchischen Grundsatz Vermeidung von CO2-Emissionen“ vor „Abscheidung und Verwertung von CO2-Emissionen“ vor „Abscheidung und Entsorgung von CO2-Emissionen“ zwingend und nachweisbar zu beachten. 4. In der Klimaschutzgesetzgebung ist die Trennung von Zielen für die THG- Minderungen, Zielen für natürliche Kohlenstoffeinbindungen und Zielen für die technische CO2– Deponierung erforderlich. Dies ist auch bei der Ausgestaltung klimapolitischer Instrumente zu beachten. Nur so kann eine transparente Erfolgskontrolle der Klimaschutzziele erfolgen. Stark beschränkter Anwendungsrahmen 1. CCS als technische Maßnahme mit Senkenwirkung kann als weiterer Baustein in dem Maße eingesetzt werden, wie Emissionsminderungen und natürliche Senkenkapazitäten nicht ausreichen oder um Negativemissionen zu realisieren. Als End-of-pipe-Technologie darf CCS zudem nur für prozessbedingte Restemissionen zum Beispiel in der Zement und Kalkindustrie oder in der Abfallwirtschaft zur Anwendung kommen, wo es keine hinreichenden Alternativen gibt und alle anderen Dekarbonisierungsoptionen ausgeschöpft werden. Vorrangig sind auch hier Prozessumstellungen und -innovationen, Elektrifizierung, Materialsubstitution, Steigerung der Materialeffizienz und der konsequente Ausbau der Kreislaufwirtschaft voranzutreiben, um die Restemissionen weiter zu reduzieren. 2. Die notwendige unterirdische Speicherung ist auf das absolute Minimum zu reduzieren, denn auch im Untergrund gibt es eine Vielzahl konkurrierender Raumansprüche und Bedarfe des Meeresschutzes. Die Freiheit künftiger Generationen, auf diese zuzugreifen, sollte nicht durch überbordende Nutzung heute eingeschränkt werden. Zudem heben wir hervor, dass auch andere Verfahren, wie die industrielle Nutzung von CO2 (Carbon Capture and Utilization, CCU) eine wichtige Komponente zur Dekarbonisierung industrieller Prozesse sein können und weiter zur Anwendung gebracht werden sollten. Ab 2040 müssen sie allerdings geschlossene Kreisläufe bilden. 3. Es ist eine rechtsverbindliche Definition für „unvermeidbare“ Emissionen festzulegen und mit der Technologieentwicklung fortzuschreiben. Mit einer eindeutigen Definition kann verhindert werden, dass die Nutzung fossiler Energieträger wie z.B. Erdgas/LNG verlängert wird, um vermeintlich „CO2– neutrales“ Erdgas oder „CO2-neutralen“ blauen Wasserstoff zu produzieren. Strenge Anforderung an Deponieorte und Transportinfrastruktur 1. Bei der Auswahl der Deponieorte und dem Einsatz von CCS müssen strenge Anforderungen gelten: a. Bei der Untersuchung möglicher Deponiestandorte sowie der Bewertung potenzieller Freisetzungspfade und Umweltauswirkungen sind alle Phasen der Einspeicherung (Erkundung, Bau, Betrieb und Nachsorge) zu betrachten. b. Für mögliche Speicherstandorte ist eine spezifische Risikobewertung in Hinblick auf die Umweltmedien Wasser, Boden, Luft, die davon abhängigen (marinen) Ökosysteme sowie auf die menschliche Gesundheit und Sachgüter durchzuführen. c. Der Bau und Betrieb von CCS-Anlagen erfolgt unter strengen Auflagen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt. Es können Ausschlussgebiete definiert werden, in denen der Betrieb von CCS-Anlagen nicht zulässig ist. Dies können beispielsweise Meeresschutz-, Trinkwasserschutz- und Trinkwassergewinnungs- oder Naturschutzgebiete sein, abhängig von der Entscheidung zum Ort der CO2-Deponierung. Die CO2-Speicherung in Naturschutz-, Natura 2000 und FFH-Gebieten, Biosphärenreservaten sowie in Nationalparks lehnen wir klar ab. Angrenzende Infrastruktur zur CO2-Speicherung darf diese besonders geschützten Gebiete nicht beeinträchtigen. Eine Deponierung innerhalb des Nationalparks Wattenmeer wird gesetzlich ausgeschlossen. Für den Nationalpark Wattenmeer als UNESCO-Weltnaturerbe und für die globale Artenvielfalt unersetzliches Gebiet tragen wir eine besondere Verantwortung. CO2– Transportinfrastruktur in Schutzgebieten, etwa im Nationalpark Wattenmeer, sehen wir kritisch. Das Schutzziel von Schutzgebieten darf in keinem Fall gefährdet werden. d. Es wird ein Pflichtmonitoring zur Überprüfung der Risikobewertung zur Früherkennung von Leckagen und weiterer Risikofaktoren etabliert. Eine kontinuierliche und langfristige Überwachung soll sicherstellen, dass mögliche Auswirkungen auf Mensch und Umwelt im Umfeld der Deponie so schnell wie möglich erkannt und behoben werden können. Weiterhin ist ordnungsrechtlich zu gewährleisten, dass die Überwachung auch über die Stilllegungsphase hinaus fortgesetzt wird und die Kosten hierfür durch den Betrieb erwirtschaftet werden. e. Die Energie für den Abscheidungs-, Transport- und Einspeicherungsprozess muss zu 100% aus Erneuerbaren Energien bestehen. 2. Grundsätzlich sollte die Möglichkeit zur Deponierung des CO2 sowohl im Inland als auch im Ausland erwogen werden. Bei der Suche nach geeigneten Standorten zur Deponierung des CO2 im Inland müssen valide wissenschaftliche Kriterien zur Anwendung kommen. Bei der Suche im Ausland müssen ebenso klare Standards gesetzt werden Hierbei ist auf den bisherigen geologischen Potenzialanalysenaufzubauen, die im Rahmen verschiedener Forschungsprojekte erarbeitet wurden. 3. CCS ist als potenzielle zukünftige Nutzung in die Raumplanung einzubeziehen. Im Falle von unterirdischen Nutzungskonkurrenzen zu Erneuerbaren Energien und deren Speicherung (Stichwort Geothermie) müssen diesen Vorrang genießen. Darüber hinaus sind mögliche Auswirkungen auf benachbarte Nutzungen und die unter Pkt. 7 dargestellte Schutzgutbetroffenheit zu beachten. 4. Die Deponierung von CO2 in unterirdischen Lagerstätten erfordert eine CO2– Transportinfrastruktur. Der Aufbau einer solchen Infrastruktur muss nach verbindlich festgelegten Kriterien erfolgen. Hier ist zu klären, unter welchen Voraussetzungen der CO2-Transport wie erfolgen soll (Pipelines, Schiff, Zug, LKW), Effizienzansprüche gehalten werden können, welche Standorte in eine entsprechende Infrastruktur eingebunden werden und wie ein sicherer Transport ohne Schlupfverluste gelingen kann. Über die Infrastruktur für den Transport von CO2 zum Zweck der Deponierung hinaus, bedarf es einer Infrastruktur zum Transport von CO2 zum Zweck der Nutzung (CCU – Carbon Capture and Usage). 5. Die Kosten für Abscheidung, Transport und Endlagerung können und dürfen nicht durch öffentliche Mittel finanziert und damit von der Gesellschaft getragen sowie nachfolgenden Generationen auferlegt werden. Hier muss das Verursacherprinzip Anwendung finden. Auch potenziell zukünftig entstehende Kosten, wie z.B. für die Sanierung von Deponien, müssen als Preisbestandteil bei den Deponierungskosten einer Tonne CO2 berücksichtigt werden. Dies wird auch eine Lenkungswirkung entfalten, die eine Reduktion solcher Produkte anreizt, deren Produktion auf CCS angewiesen ist. 6. CO2 kann nicht nur in Form eines Gases deponiert werden. Mit modernen industriellen Verfahren kann CO2 umgewandelt und auch in Form von festem Kohlenstoff deponiert werden. Da diese Verfahren geringere Umweltauswirkungen bei der Deponiedauer haben, wollen wir diese berücksichtigen und Technologieoffenheit bewahren. 7. Sollte eine der oben geschilderten strengen Anforderungen oder sogar mehrere davon nicht eingelöst werden, so sprechen wir uns weiterhin konsequent gegen die Verpressung von CO2 und anderen Treibhausgasen im Boden aus.